Das Wahljahr 2021

Wie es aussieht, alles ist möglich

In zwölf Monaten ist der neue Bundestag bereits gewählt. Ob schon ein Nachfolger Angela Merkels im Kanzleramt sitzt, ist eher fraglich. Gut möglich, dass die Parteien zu diesem Zeitpunkt noch mit dem Sondieren von Koalitionsmöglichkeiten beschäftigt sind. Das wird nicht zuletzt vom Wahlergebnis abhängen. 2021 wird ein besonderes Wahljahr sein, weil die Corona-Pandemie und ihre Folgen den Wahlkampf maßgeblich mitbestimmen werden. Das betrifft die Themen, aber auch die Art der Auseinandersetzung. Denn es spricht einiges dafür, dass dieser Wahlkampf in hohem Maße digital ausgetragen werden wird oder ausgetragen werden muss. Hier ein paar Überlegungen und Prognosen.

Digital sind Grüne und AfD im Vorteil

Im Fall eines Internetwahlkampfs wären die Grünen auf zweifache Weise im Vorteil: Ihre potenziellen Wähler sind eifriger im “Netz“ unterwegs als die ältere Klientel von Union und SPD. Außerdem sind die Grünen die erklärten Lieblinge der öffentlich-rechtlichen Anstalten. Beides erschwert der CDU/CSU wie der SPD die Mobilisierung ihrer Wähler.

Ein Internetwahlkampf könnte auch der AfD zugutekommen. Ein Großteil ihrer Wähler lebt in Bezug auf Information und Kommunikation ohnehin bereits in einer blau-bräunlichen Blase. Schon heute gelingt es der AfD, an den etablierten Medien vorbei Anhänger zu gewinnen und zu motivieren.

Vater Staat wird’s schon richten! Wirklich?

Die Bekämpfung der Corona-Folgen mit milliardenschweren Programmen trifft auf eine gefährliche Sehnsucht vieler Menschen nach einem starken, überall eingreifenden Staat. Das macht es für Parteien, die auf Markt und Wettbewerb setzen, schwer; das gilt besonders für die FDP.

So wichtig staatliche Hilfen auch sind: Auf Dauer kann der Staat fehlende Umsätze und Gewinne nicht ersetzen. Es wird aber für die FDP wie für die Union nicht einfach, den Menschen klarzumachen, dass die Schulden von heute die Steuererhöhungen und Sparmaßnahmen von morgen sind. Der Wahlkampf wird zu einem Kampf um die Grundfrage, wie viel Staat wir wollen und wie viel Markt wir brauchen – und umgekehrt. Wir werden deshalb eine sehr hitzige Debatte über Umverteilung bekommen, das heißt über Steuererhöhungen und die Besteuerung von Vermögen. Hier sieht die SPD ihre Chance, wird bei ihren Forderungen aber immer von der Linken übertrumpft werden.

Regierungsbildung: Nichts ist unmöglich

Für 2021 kann man nichts ausschließen: Weder Schwarz-Grün noch Grün-Rot-Rot noch Rot-Rot-Grün noch eine Ampel. Selbst eine Fortsetzung von Schwarz-Rot könnte bei einem entsprechend „verqueren“ Wahlergebnis notwendig werden, sofern der „mündige Wähler“ uns davor nicht bewahrt. Eine Schlüsselfrage für die Regierungsbildung wird sein, ob die Grünen oder die SPD zweitstärkste Partei werden. Denn falls die Grünen den Kanzler stellen können, werden sie ihn stellen wollen. Dazu werden Habeck, Baerbock und Co. gerne auch die Linkspartei mit ins Boot nehmen. Man sieht ja bereits in Berlin, Thüringen und Bremen, dass Grün und Dunkelrot problemlos miteinander können.

CDU/CSU: Kanzlerkandidat wird, wer die besten Chancen hat

Die Union wird ihren Kanzlerkandidaten wohl erst nach den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg nominieren. Warum den Spitzenkandidaten mit Ergebnissen belasten, die für die CDU eher keine Rückkehr zur alten Stärke bringen werden. In der K-Frage wird sich bei CDU und CSU ihr Pragmatismus-Gen durchsetzen: Kanzlerkandidat wird, mit dem die Union im Frühjahr in den Meinungsumfragen am besten abschneidet. Das könnte – Stand heute – Söder sein.

SPD spielt gegen den Abstieg

Bei den Sozialdemokraten haben viele noch nicht bemerkt, dass sie gegen den Abstieg spielen und nicht um die Meisterschaft. Die Hoffnung der Genossen beruht darauf, dass die CDU/CSU ohne Angela Merkel antritt und erstmals seit 2005 ohne Kanzlerbonus auskommen muss. Die SPD baut auf ehemalige Merkel-Wähler, um nicht – auch im Bund – auf den demütigenden dritten Platz hinter den Grünen zurückzufallen. Aber warum sollen diese Merkel-Wähler nicht gleich zu den Grünen wechseln, wenn sie den Merkel-Kurs so gut finden?

Schwarz gegen Grün = Kompetenz versus Lebensgefühl

Bei allen bisherigen Bundestagswahlen kämpften CDU/CSU und SPD um die Führungsrolle. Das wird dieses Mal anders sein: Die Entscheidung fällt letztlich zwischen Union und Grünen. Wenn die Grünen genügend Stimmen aus der Mitte abziehen, kann es sogar für Grün-Rot-Rot reichen. Was allerdings nicht übersehen werden sollte: Die CDU/CSU hat immer dann sehr gut abgeschnitten hat, wenn wirtschaftlich die Zeiten schwierig waren. Und das werden sie 2021 sein. Dann könnte die Schlachtordnung so lauten: Kompetenz versus Lebensgefühl.

AfD sicherer im Bundestag als die FDP

Die AfD dürfte die Fünf-Prozent-Hürde trotz ihres unübersehbaren rechtsradikalen Charakters sicher nehmen. Die Schar der „Wutwähler“, die es denen da oben zeigen wollen, ist während der Corona-Pandemie noch gewachsen. Und diese Wähler stören sich nicht daran, wie der Verfassungsschutz die Gaulands, Höckes und Weidels einschätzt: Hauptsache dagegen.

Die FDP muss gegen den Eindruck ankämpfen, dass niemand weiß, ob sie regieren will, und falls ja, mit wem. Wenn der neue Generalsekretär Volker Wissing die CDU als den eigentlichen Gegner darstellt, hilft das der Partei bei den verbliebenen bürgerlichen Wählern eher nicht. Ganz abgesehen davon: Wenn eine kleine Partei den Umfragen zufolge für eine Regierungsbildung gar nicht gebraucht wird, fällt sie auf ihren harten Kern an Wählern zurück. Und der ist bei den Liberalen recht klein.

Die Linke muss sich mit Blick auf die Fünf-Prozent-Hürde weniger Sorgen machen als die FDP. Ihr Abschneiden wird letztlich davon abhängen, ob sie den Umfragen zufolge zu einer Mehrheit gegen die CDU/CSU beitragen kann oder nicht. Allerdings ist völlig offen, ob sich in dieser heillos zerstrittenen Partei letztlich die Regierungs-Sozialisten oder die Oppositions-Freaks durchsetzen werden.

Fazit: Alles ist möglich

So interessant die Umfragen von heute auch sein mögen: Nie waren die Wähler mobiler und flexibler als heute. Und der mehr als 100 Jahre alte Satz des britischen Premiers Lloyd George ist aktueller denn je: „Wahlen sind manchmal die Rache des Bürgers: Der Stimmzettel ist auch ein Dolch aus Papier.“


Autor: ©Dr. Hugo Müller-Vogg

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