Geld und Egoismus

Ist Fußball gut für Körper und Seele?

Die Zahl der Melancholiker und Nostalgiker im deutschen Fußball ist erstaunlich hoch. Trotz der der normalen Entwicklung altersbedingt steigender Todeszahlen auf Seiten der „Generation von gestern“ erlebt die Fußballszene eine Nostalgiesucht. Denn die „älteren Krüstchen“, die sich derzeit in den 60ern, 70ern und 80ern ihres Lebens befinden, leiden nicht nur mit Blick auf den Fußball unter Nostalgie. Der Fußball habe, so der Vorwurf von Träumern, seine Bodenhaftung verloren. Gestern war alles besser – oder etwa doch nicht? Nein! Gestern war nur alles anders.

 

Prall gefüllte Stadien – das „normal“ Bild in Europas Spitzenfußball. Foto: ©Udo Rettberg

 

Kommen ältere Generationen mit Blick auf das Kicken – den Fußballsport mit Betonung auf „Sport“ – zur Diskussion zusammen, leuchten die Augen der sich als reale Fußball-Fans outenden „alten Krüstchen“. By the way: Den Begriff „alte Krüstchen“ habe ich als Bezeichnung für an Jahren, an Erfahrung und Lebensmut starke Menschen vor allem in Nord- und Mittelhessen gefunden. Die Laune dieser Spezies bessert sich auch bei der Diskussion über Fußball, wie am Lärmpegel – also an steigenden Dezibel-Zahlen – rasch zu erkennen ist. In der Regel vor allem bei jenen, die nach dem Jahr 1962 geboren sind, dem Gründungsjahr der Fußball-Bundesliga. Seither hat diese Liga eine gigantische Entwicklung genommen – sportlich und vor allem auch finanziell. Und – man solle es wirklich kaum glauben: Der in den vergangenen Dekaden dominierende FC Bayern München (unangefochtener Finanz-Krösus des deutschen Fußballs) war kein Gründungsmitglied der vom DFB damals vor allem aus pekuniären Gründen ins Leben gerufenen Liga.

 

Mit dem Mannschaftsbus von der Alm in Bielefeld – der heutigen Schüco-Arena – auf dem Weg in die kleine weite Welt. Foto: ©Udo Rettberg

 

Wehmut kommt bei einigen Beobachtern und Stadionbesuchern auf

Alemannia Aachen, Tennis Borussia, 1860 München, FC Saarbrücken, 1. FC Kaiserslautern, Ulm 46, Rot-Weiß Essen, Preußen Münster, Meidericher SV, Arminia Bielefeld. Spvgg Fürth – das alles sind Vereinsnamen, die im Fußball einen recht guten Klang hatten und haben. Man möge mir verzeihen, wenn ich an dieser Stelle nur diese wenigen deut-schen Fußballvereine – so genannte Traditionsclubs – erwähne. Denn auch viele andere Vereine verdienen Erwähnung in den Annalen der deutschen Fußballgeschichte. Diese Clubs waren in der Regel meist wegen der durch Hingabe und Begeisterung der Fans geprägten sportlichen Qualitäten erfolgreich und so über die deutschen Grenzen hinaus bekannt und beliebt. Denn Geld – der heute im Fußball allein ausschlaggebende und bestimmende Faktor – spielte (obwohl auch damals bereits nicht so ganz unwichtig) seinerzeit in den 70er und 80er Jahren bei weitem nicht die erste Geige.

Aber – die Welt der „Socceroos“ hat sich über die Dekaden hinweg verändert. Und dies nicht zuletzt dank superreicher Unternehmer / Mäzene, die ihre zwei Seiten als Fußball-Fan und Sport-Unternehmer mehr oder minder gekonnt miteinander verbanden.

Nun – Unternehmer sind in dieser Hinsicht nicht unbedingt Gutmenschen; denn Mäzenatentum wirkt sich letztlich imagefördernd für Unternehmer und Unternehmen aus. Und Image-Gewinne sind letztlich wiederum ausgesprochen positiv für das persönliche Portemonnaie. Einen großen Fehler haben die Vereine und Clubs aber gemacht: Sie haben (von Ausnahmen abgesehen) die Errungenschaft moderner Finanzmärkte kaum genutzt und Aktien sowie Anleihen zur Finanzierung ihrer Aktivitäten zu wenig genutzt.

Erfolg im Fußball ist heute sehr eng mit dem „Money-Factor“ verbunden

Auf und Abstieg ist für viele dieser Clubs bei historischer Betrachtung fast so „normal“ wie der Gang in und durch die Insolvenz. Der Fußball ist (wie auch andere Profisportarten) heute eine der dynamischsten Wirtschaftsbranchen überhaupt. Wer sich hier bewegt, ist ins Land der Klüngeleien und Seilschaften eingetaucht und läuft Gefahr in den Money-Sog zu geraten. Den auf der Nostalgiewelle schwimmenden „älteren Krüstchen“ in Deutschland zwingt all das über den Umweg ihrer Ohren ein sorgenvolles Lächeln auf die Lippen. Ungläubiges Kopfschütteln ist an der Tagesordnung. Früher gab es das ja vielleicht auch – jedoch in wesentlich kleinerem Rahmen.

Bekannte Club-Namen wie Tasmania Berlin, Offenbacher Kickers, Eintracht Braunschweig, SV Alsenborn, FK Pirmasens, KSV Hessen Kassel oder Göttingen 05 und Stuttgarter Kickers haben bei den hiesigen Fußball-Fans heute noch immer einen guten Klang – meistens jedenfalls.

Der weltweite Siegeszug: Das Tor ist leer beim Fußball in Vietnam. Foto: ©Udo Rettberg

 

Zugegeben: Viele Club-Bosse in Deutschland waren in den vergangenen Jahren nicht flexibel genug und nicht in der Lage, sich den finanziell und wirtschaftlich gigantischen Aufgabe erfolgreich zu stellen. Die hier genannten Namen klingen gut in den Ohren der älteren Stadionbesucher. Auch, weil sie an eine Zeit erinnern, die auf der einen Seite von Menschen Vieles abverlangte und andererseits aber auch unzählige Chancen offerierte. Der Fußball hat viele dieser Chancen sowohl im Profibereich als teils auch im Amateurbereich genutzt – weltweit. Das Leder rollt heute um den Globus und hilft auf diese Weise auch Menschen in den Entwicklungsländern. Dass Geld aber das A & O im Fußball ist, erfahren Fans rasch, wenn Clubs freiwillig absteigen (müssen), weil sie den Etat für eine Liga nicht mehr stemmen können.

Der Geld-Faktor wirkt auf allen Ebenen des Fußballs

Er geht über die Spieler und Clubs hin zu den nationalen Verbänden bis hin zu den internationalen Organisationen wie UEFA und FIFA. Auf dieser höchsten internationalen Ebene erreicht der Umsatz des Verbandes mehr als 2 Mrd. Dollar im Jahr, so dass sich die Rücklagen der FIFA aktuell auf über 2,7 Mrd. addieren.

 

Rekordversuch in Kassel

Dass Fußball viele Emotionen freisetzt, zeigt sich auch (oder gerade) in den Amateur-Ligen. Beweis gefällig? Bitte: Es waren „nur“ 15 448 Zuschau-er, die Ende April 2019 – einem Ostermontag – den Weg ins Kasseler Auestadion zum Derby KSV Hessen Kassel gegen KSV Baunatal fanden. Zuvor wollten sie im Nordhessen-Derby einen Fünftliga-Rekord von 18 750 Besuchern aufstellen. Das gelang nicht ganz – aber immerhin … die Stimmung war hervorragend.

 

Wen verwundert es, dass es oben an der Weltspitze der Soccer-Funktionäre „stinkt“, dass Korruption dort in den höheren Gefilden etwas Alltägliches zu sein scheint. Erschreckend ist, dass die nationalen Verbände meist „still“ sind und von dieser Seite kaum Kritik zu hören ist. Eine Erklärung dafür findet sich: wahrscheinlich spielt Korruption auch auf dieser zweiten Ebene eine große Rolle. Denn eine Krähe hackt der anderen bekanntlich kein Auge aus. Dies vor allem, wenn die nationalen Verbände und ihre Spitzenvertreter selbst auch in der Zwickmühle stecken.

Als ich zuletzt am Frankfurter Hauptbahnhof auf die Ankunft meines Zuges wartete, begegnete mir Christian Seifert auf dem Bahnsteig

Der inzwischen allmächtige DFL-Geschäftsführer stieg in einen TGV-Zug in Richtung Paris. Er wollte dort an der FIFA-Jahrestagung teilzunehmen, so jedenfalls meine Vermutung. Am Abend des gleichen Tages und am nächsten Tag erhielt ich die Bestätigung für meine Vermutung. Denn Seifert erschien sowohl im TV als auch auf Pressebildern. Aus der französischen Hauptstadt kamen dann darüber hinaus noch die erwarteten Nachrichten der FIFA. Klar – der aus Brig / Schweiz stammende FIFA-Präsident Giovanni Infantino hat als Nachfolger Josef Blatter eigenen Worten zufolge „aufgeräumt“ beim privaten Weltverband FIFA – einem gemeinnützigen Verein.

Es lebe der Glaube an sich selbst, an die eigenen Fähigkeiten. Jetzt ist alles in Ordnung – nicht wahr Giovanni Infantino? Mich erinnert das an ein sicher mehr als 10 Jahre zurückliegendes Ereignis. Auf einer Finanzmarkt- und Sport-Konferenz in Frankfurt ließ ein Schweizer Banker schon damals kein gutes Haar an den „Lügenbaronen“ von FIFA und UEFA. Besucher bracht das ins Grübeln. Denn schließlich kannte man auf Seiten der Banken ja die Zahlungseingänge und Zahlungsausgänge der Verbände und ihrer Top-Vertreter …

Seinerzeit schwang Josef Blatter noch das Zepter bei der FIFA. Und was lernen wir daraus? Na klar – Schweizer Banker liegen oft richtig in ihrer Einschätzung der aktuellen Lage.


Autor: ©Udo Rettberg — Publizist / Journalist

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